Das Ideal
Ein Gedicht von Kurt Tucholsky
- Ja, und das hab ich ganz vergessen:
- Prima Küche – erstes Essen –
- alte Weine aus schönem Pokal –
- und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
- Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
- Und noch ne Million und noch ne Million.
- Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
- Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.
-
- Ja, das möchste!
- Aber, wie das so ist hienieden:
- manchmal scheint's so, als sei es beschieden
- nur pöapö, das irdische Glück.
- Immer fehlt dir irgendein Stück.
- Hast du Geld, dann hast du nicht Käten;
- hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
- hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
- bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
- Etwas ist immer.
-
-
- Tröste dich
- Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
- Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
- Daß einer alles hat: das ist selten.
- Theobald Tiger (Pseudonym von Kurt Tucholsky)
- Berliner Illustrirte Zeitung, 31.07.1927, Nr. 31, S. 1256.
Das Ideal
- Ja, das möchste:
- Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
- vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
- mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
- vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
- aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
- Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
- Neun Zimmer, – nein, doch lieber zehn!
- Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
- Radio, Zentralheizung, Vakuum,
- eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
- eine süße Frau voller Rasse und Verve –
- (und eine fürs Wochenend, zur Reserve) –,
- eine Bibliothek und drumherum
- Einsamkeit und Hummelgesumm.
- Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
- acht Autos, Motorrad – alles lenkste
- natürlich selber – das wär ja gelacht!
- Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.